(c) Josh Harner, 08.05.2013 (Pulitzer Preis 2014)
Im Kreuzgang des Münsteraner Domes ist eine Statue des gekreuzigten
Jesus angebracht. Das ist wahrlich nichts Besonderes für eine
katholische Kirche, allerdings fehlen diesem Christus seit einem
Bombenangriff 1944 die Arme. Anstatt die Statue nach dem Krieg zu
restaurieren, entschied die Domgemeinde sich, sie stattdessen um einen
Satz zu ergänzen: „Ich habe keine anderen Hände als die Euren." - Ein
Auftrag, eine Mahnung an die Gemeinde, ja an alle Christinnen und
Christen, dass Gottes Reich und Frieden nur durch uns möglich wird. Wir
müssen zu _Friedenssuchenden_ werden, an die Orte gehen, die Frieden
bedürfen und mit unseren Händen diesen Frieden schaffen. Es ist eine
Aufgabe, die Bewegung bedarf, ein Herausgehen aus dem Gewohnten, aus
sich selbst.
----------------
Am 15. April 2013 gegen 14:50 Uhr nähert Jeff Bauman sich der Ziellinie
des traditionsreichen Boston-Marathons - 42,195 km liegen beinahe hinter
ihm, im Ziel wartet seine Lebensgefährtin, er ist stolz. In diesem
Moment erschüttern kurz nacheinander zwei Detonationen die Boylston
Street im Herzen Bostons, zwei Schnellkochtöpfe, verwandelt in tödliche
Bomben. Bauman ist im direkten Umfeld einer dieser Explosionen - er
überlebt, aber seine Beine werden zerfetzt, sind verloren und das, was
von ihnen übrig ist, wird kurze Zeit später amputiert.
Der Fotograf Josh Harner hat Baumans Schicksal in den Wochen nach dem
Attentat begleitet - für seine Fotoreportage hat er den renommierten
Pulitzer-Preis gewonnen. Eines der Bilder der Reportage zeigt Bauman auf
seinem Rücken liegend, die Arme weit ausgebreitet, die Beine - nicht
mehr da, weggesprengt. Ich weiß nicht, wie Jeff Bauman zu Jesus steht,
ob er ihm jemals Halt gegeben hat oder das noch immer tut. Trotzdem
lässt mich das Bild, das Josh Harner von ihm geschossen hat, genau wegen
dem Kontrast zur Münsteraner Jesusstatue nicht los, seit ich das Bild in
einer Ausstellung sah.
----------------
Das Fehlen von Jeff Baumans Beinen ist mehr als nur ein physisches
Symbol dafür, wie schwer es ihm fallen muss seine Hände im Namen der
Botschaft Jesu zu benutzen, zum Friedenssucher zu werden. Unfrieden,
ungerechte, sinnlose Gewalt hat sein Leben grundlegend verändert, hätte
es ihm beinahe geraubt. Niemand könnte es ihm verdenken, wenn er eben
nicht Frieden suchen würde, sondern nun selbst erfüllt wäre von Hass,
von dem Wunsch nach einer Vergeltung. Und so scheint Bauman dort zu
warten - darauf, dass der Frieden vielleicht ihn findet. Dass er
versteht, warum gerade er Opfer dieses Unfriedens wurde, dass er
realisiert, was ihm an diesem 15. April wiederfahren ist. Was hätte
dieser Mensch alles bewirken können und wollen? Wo hätte er Frieden
schaffen können, wäre ihm selbst nicht Unfrieden geschehen? -Wie viele
Menschen sind wohl aus diesen Gründen nicht in der Lage, Frieden zu
suchen und zu schaffen?
Jeff Bauman kämpft, er bekommt Prothesen und schon wenige Wochen später,
verlässt er das Krankenbett. Josh Harners Fotografien dokumentieren, wer
ihm in dieser Zeit hilft: Seine Freundin, seine Mutter, Freunde,
Physiotherapeuten und Ärzte. Es sind ihre Hände, ihre Liebe, die an ihm
wirken und ihm - hoffentlich Frieden zurückbringen und ihm die Chance
geben auch die eigenen Hände wieder zu benutzen, aus dem Gefängnis der
Gedanken auszubrechen, wieder zu „Handeln" und so vielleicht - in einem
neu gewonnenen Leben - Frieden zu suchen. Für sich selbst und für
andere.
Diese Gedanken sollen kein Blanko-Scheck für Passivität sein - für die
augenscheinliche Rechtfertigung „Ich habe keine Beine außer die euren -
ich kann nicht suchen, ihr müsst zu mir kommen." Aber dennoch ist es
meine Hoffnung, dass das „Entgegenkommen" des Advents, aber auch dieser
Fastenzeit ein ernst gemeintes Versprechen ist, für all die Momente in
denen ich mich gefesselt fühle. Umso mehr aber auch für alle Menschen,
deren Suche weggesprengt wurde, die sich einfach nicht vorstellen
können, jemals wieder selbst zu suchen und in eine Aussichtslosigkeit,
ein scheinbar ewiges Warten verfallen.
______________________
Die Fastenimpulse 2018 schicken - im Zeichen des anstehenden 101.
Katholikentags - Münsteranerinnen und Münsteraner auf die ganz
individuelle Suche nach dem Frieden. Heute teilt Nils Stockmann seine
Gedanken. Nils studiert in Münster Politikwissenschaft und ist von
Seiten der KSHG Münster in die Organisation des diesmal besonderen
Angebotes für Studierende beim Katholikentags mit eingebunden.